Sven Friedrich Cordes: „Wir sind keine Sargverkäufer, sondern Mutmacher!“

Vor einiger Zeit haben wir über die Galerie Metavier hier auf unserem Blog berichtet. Sie zeigt Kunst rund um das Thema „Tod“. Dabei wurde uns klar, dass es auch uns schwer fällt, über so etwas zu schreiben. Darum haben wir den Experten, Sven Friedrich Cordes von Friedrich Cordes Bestattungen, gebeten, uns etwas über den Bestatter-Beruf zu berichten. Dabei entstand ein wirklich spannendes Interview 🙂

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Du führst nun das Unternehmen „Friedrich Cordes Bestattungen“ in der dritten Generation. Wie war es für Dich, in einer Bestatter-Familie aufzuwachsen?

„Meine Eltern haben mir relativ früh erklärt, worum es in einem Bestattungsunternehmen überhaupt geht und haben geduldig alle meine Fragen beantwortet – trotzdem hatte ich immer eine gesunde Distanz zum Tagesgeschäft. Erst, als ich schon etwas älter war, hat mir mein Vater angeboten, mir seine Arbeit genauer anzuschauen und ab und an auch mal auszuhelfen. Meine Freunde fragen mich immer noch, ob es nicht ziemlich traurig und belastend sein muss, tagtäglich mit trauernden Menschen konfrontiert zu sein. Ich empfand das niemals so – im Gegenteil: Ich bin froh, dass ich durch meine familiären Wurzeln einen tiefen und ungeschminkten Einblick in die unausweichliche Realität der Endlichkeit erhalten habe.“

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Sven Friedrich Cordes mit seinem Hund Jackie

Gab es für Dich schon immer den Wunsch, selbst Bestatter zu werden?

„Nein, es war eine Liebe auf den zweiten Blick. Eigentlich wollte ich Fotografie studieren und arbeitete nebenbei als Fotoassistent, in einem Fotolabor und einem Architekturbüro. Allerdings fotografierte ich für meine Bewerbung an der Hochschule Hannover eine Reportage über den Arbeitsalltag in einem Krematorium. Nach meinen gescheiterten Bewerbungen begann ich eine Fotografenausbildung, die ich aber nach kurzer Zeit abgebrochen habe. Danach kam mein Vater auf mich zu und fragte mich, ob ich nicht ein Praktikum in einem großen Bestattungsunternehmen in einer anderen Stadt machen wolle. Dieses Erlebnis hat mich überzeugt, danach meine Ausbildung als Bestatter zu beginnen. Seitdem liebe ich diesen Beruf Tag für Tag. So sehr, dass ich mich nach der Ausbildung noch zu einem Studium in Sozialwissenschaften (Abschlussarbeit über die Ökonomisierung des Bestattungswesens in Deutschland) entschlossen habe, um meine Kenntnisse der Bestattungskultur zu vertiefen und mittlerweile gerade in meinem Zweitstudium bin.“

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Ein Unternehmen, dass seit Jahrzehnten in Familienhand ist

Hast du mit vielen Vorurteilen zu kämpfen?

„Viele Menschen sind der Meinung, dass Bestatter den ganzen Tag nur schwarz tragen und keinen Spaß im Leben haben dürfen. In diesem Punkt sind wir anders: Meine Mitarbeiter und ich sind alle noch relativ jung und tragen schwarz nur, wenn wir Trauerfeiern auf Friedhöfen haben. Bei Waldbestattungen tragen wir grün. Ich denke, gerade Bestatter sollten jede Menge Spaß im Leben haben – denn sie erleben jeden Tag aufs Neue, wie schnell ein Leben zu Ende sein kann.“

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Tom Heider (links), Sven Friedrich Cordes (Mitte) und Amrit Jung (rechts) versuchen den Trauernden einen schönen Abschied zu ermöglichen

Was fasziniert Dich an dem Beruf des Bestatters?

„Die Vielfältigkeit des Arbeitsalltags – Bestatter sind nicht nur auf Friedhöfen unterwegs und betreuen Trauerfeiern und Beisetzungen; sie kümmern sich außerdem um die Überführung der Verstorbenen, beraten Angehörige und kommunizieren mit Kirchengemeinden, Friedhöfen, Floristen, Musikern und Standesämtern um einen schnelle und reibungslose Umsetzung der Bestattungswünsche zu gewährleisten. Außerdem mag ich, dass wir durch unsere Arbeit Menschen in einer schweren Phase helfen und zum Nachdenken anregen können.“

Gibt es eine berufliche Geschichte, die Dir am besten in Erinnerung geblieben ist und Dich am meisten berührt hat?

„Fälle, in denen junge Menschen involviert sind, berühren mich am meisten, da ich mich besser in die Situation hineinversetzen kann. Durch den geringen Altersunterschied kommt häufig auch der Gedanke an die eigene Endlichkeit auf. Am schönsten fand ich den Abschied von einem Ballettlehrer, den wir begleiten durften. Wir haben seinen Sarg in seiner Ballettschule in der Innenstadt von Hannover aufgebahrt, es gab ein Buffet und eine Akkordeonspielerin spielte Tango. Alle ehemaligen Schülerinnen sind vorbeigekommen und durften sich am offenen Sarg verabschieden. Wer mochte, durfte mit einem Filzstift einen letzten Gruß auf dem schneeweißen dänischen Designersarg hinterlassen.“

Style Hannover Sven Friedrich Cordes Blumen - Sven Friedrich Cordes: „Wir sind keine Sargverkäufer, sondern Mutmacher!“
Ob klassischer oder alternativer Blumenschmuck. Die passenden Pflanzen werden gefunden

Dein Unternehmen bietet auch alternative Bestattungen an. Was kann man sich darunter vorstellen?

„Alternative Bestattungen verlassen die eingetretenen Pfade der Bestattungskultur. Wer sagt denn eigentlich, dass eine Trauerfeier immer in einer Friedhofskapelle stattfinden muss? Wir arbeiten beispielsweise mit einer Künstlerin aus der Calenberger Neustadt zusammen, die uns ihr Künstleratelier für lebendige Trauerfeiern zur Verfügung stellt. Außerdem haben wir eine Kooperation mit Beckmanns Weinhaus: Die Urne des Verstorbenen steht dabei in einem privaten Esszimmer auf einer festlich gedeckten Tafel, an der die Familie für ein letztes gemeinsames Abendessen zusammenkommt. Wichtig ist dabei nur, dass die Art des Abschieds dem Verstorbenen beziehungsweise den Angehörigen entspricht. Vom Steigenlassen von Luftballons über Heavy Metal mit Dosenbier im Bestattungswald bis zum Empfang in einer Hochzeitslocation ist dabei alles denkbar. Vielen Angehörigen tut es zudem sehr gut, bei der Vorbereitung der Trauerfeier oder beim Anziehen ihres Verstorbenen selbst mitzuhelfen. Auch Särge und Urnen können mittlerweile durch die Familie selbst gestaltet werden. Zur alternativen Bestattungskultur zählt für mich auch, dass wir den Angehörigen anbieten, die Urne vom Krematorium auf Wunsch mit dem Fahrrad abzuholen. Als alternatives Bestattungsinstitut sehen wir uns nicht mehr als Sarg- oder Urnenverkäufer sondern vielmehr als Berater, Moderator und Mutmacher für die Angehörigen um deren Wünsche – ohne falsche Rücksicht auf Traditionen – umzusetzen.“

Style Hannover Sven Friedrich Cordes Collage - Sven Friedrich Cordes: „Wir sind keine Sargverkäufer, sondern Mutmacher!“
Ob Urnen-Abholung per Fahrrad, alternativer Blumenschmuck, Trauerfeier im Atelier oder ein Saxophon-Spieler am Grab – Sven Friedrich und sein Team versuchen, jeden Wunsch zu erfüllen

Die Galerie metavier ist durch Deine Idee entstanden. Wie kamst du darauf und was möchtest du damit bezwecken?

„Niemand setzt sich gerne mit dem Tod auseinander. Dabei ist er unausweichlich und wir könnten viel über uns, unsere Umwelt und unsere Mitmenschen lernen, wenn wir den Gedanken an unsere eigene Endlichkeit zulassen. Ich sehe metavier als freundschaftliche Einladung, sich mit der Thematik auseinanderzusetzen. Wir möchten mit metavier das Thema Tod und Sterblichkeit wieder in die Mitte des gesellschaftlichen Diskurses bringen – denn genau dort gehört es auch hin. Im Jahr 2019 sollte es an der Zeit sein, dass sich jeder Mensch selbstbestimmt mit seiner Endlichkeit auseinandersetzen darf. Und was könnte sich besser eignen, um zum kritischen Nachdenken anzuregen als Kunst? Wir möchten mit metavier einen Ausstellungsraum schaffen, in dem die unterschiedlichen Ebenen, die verschiedenen Dimensionen von Tod einen Ausdruck erfahren können und so zu einem Dialog einladen. Außerdem glaube ich, dass die Kunst die Fähigkeit besitzt, Licht in die Dunkelheit zu bringen und uns unserer selbst zu vergewissern. Durch das abwechslungsreiche Rahmenprogramm, welches aus Vorträgen, Workshops und unserer Veranstaltung „Leichenschmaus“ besteht, wollen wir zudem einen möglichst niedrigschwelligen Zugang ermöglichen.“

Style Hannover Sven Friedrich Cordes Galerie Metavier - Sven Friedrich Cordes: „Wir sind keine Sargverkäufer, sondern Mutmacher!“
Die Galerie Metavier bietet einen Raum für neue Eindrücke und Erkenntnisse

Gibt es etwas, das Du Dir bezüglich Deines Berufs von der Gesellschaft wünschen würdest?

„Ich wünsche mir, dass die Gesellschaft den Tod als notwendigen Bestandteil des Lebens akzeptiert. Bis dahin wird es allerdings ein weiter Weg sein.“

Denkst du über Deinen eignen Tod nach und weißt Du schon wie Du später einmal beerdigt werden möchtest?

„Ich möchte eine lebendige Feier nach dem Vorbild einer amerikanischen „celebration of life“. Also, dass es keine traurige Abschiedsfeier gibt, sondern das Leben des Verstorbenen nochmal so richtig gefeiert wird.“

Vor welchen Hürden steht man, wenn man den Beruf des Bestatters ausübt?

„Der Beruf des Bestatters bringt viele Herausforderungen mit sich: Da der Tod keine Öffnungszeiten kennt, gehört häufig auch die Rufbereitschaft mit zum Arbeitsalltag. Auch können viele Situationen als stark belastend empfunden werden. Da ist es wichtig, dass man nach Feierabend gut abschalten kann. Auch darf es beim Bestatter keine Fehler geben: Wenn bei einer Trauerfeier das falsche Lied gespielt wird, habe ich keine Chance, diesen Fehler zu korrigieren. Wir gehen deswegen alle kritischen Punkte mehrmals durch und haben fast immer einen Plan B in der Tasche.“

Style Hannover Sven Friedrich Cordes Bestattung - Sven Friedrich Cordes: „Wir sind keine Sargverkäufer, sondern Mutmacher!“
Für die Trauerbewältigung ist ein schöner Abschied wichtig. Dieser wird bei Friedrich Cordes Bestattungen möglich gemacht

Mal ein ganzes anderes Thema: Was schätzt Du an Hannover?

„Hannover hat genau die richtige Größe für mich und man trifft sich immer zwei Mal hier – mindestens. Ich schätze die tolle Vernetzung in der Stadt, die guten Fahrradwege und das viele Grün.“

Was ist für Dich der Style von Hannover?

„Nicht viel reden – einfach machen. Während in anderen Städten häufig viel Wind gemacht wird und am Ende wenig dabei herauskommt, setzt sich der Hannoveraner einfach an die Arbeit und schafft großartige Projekte. Ich bin immer wieder fasziniert, welche tollen und einzigartigen Projekte und Institutionen wir in Hannover haben.“

Welche Dinge sind für Dich absolute Empfehlungen in und rund um Hannover?

„Die Probierbar auf der Limmerstraße – ein großartiges, lebendiges Konzept meines Freundes Nucki, das 11A am Küchengarten – immer für einen Besuch gut, HutUp am Lindener Markt – der Hutladen meines Vertrauens mit großartiger Beratung, das Platzprojekt am Lindener Hafen – unglaublich, wie es sich in den letzten Jahren entwickelt hat, und natürlich der Waldwinkel meiner Freundin Cara in Benthe. Wenn es etwas weiter weg sein darf, empfehle ich Schloss Derneburg: eine beeindruckende Ausstellung zeitgenössischer Kunst eines privaten Sammlers, die im Rahmen von Führungen öffentlich zugänglich ist.“

Danke, für dieses interessante und aufschlussreiche Gespräch!

Patricia Kuwaczka

Als gebürtige Hannoveranerin liebe ich es, meine Stadt immer wieder aufs Neue zu entdecken und aus verschiedenen Perspektiven kennen zu lernen. Ich studiere Marketing & Kommunikation – ein Blog wie „STYLE Hannover“ ist für mich die perfekte Plattform, um meine Erfahrungen mit anderen zu teilen, neue Leute zu treffen und täglich etwas Bemerkenswertes über Hannover zu erfahren.

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