Die Kulturschaffende Iyabo Kaczmarek setzt seit Jahren erfolgreich Theaterproduktionen in Hannover um. Anfang 2016 rief sie das Projekt „Unter einem Dach“ ins Leben, bei dem Flüchtlinge die Möglichkeit haben, unter Betreuung kreativ zu werden. Daraus ist nun auch ein eine Initiative zur beruflichen Qualifizierung und Weiterbildung von Flüchtlingen geworden.
Wie und wann ist die Idee zu „Unter einem Dach“ entstanden?
Die Idee ist vor gut eineinhalb Jahren entstanden. Im Frühjahr 2016 haben wir angefangen, ein Konzept zu erstellen, Förderer zu suchen und Anträge auszufüllen. Es wurde in den Medien so viel über die Flüchtlingsströme geredet, da wollten wir uns selbst ein Bild machen. Wir sind dann in die Unterkunft im Oststadtkrankenhaus gegangen, haben uns dort mit der Leitung über unsere Projektidee unterhalten und nach den Bedürfnissen der Bewohner gefragt.
Das Erlernen von handwerklichem Geschick hat bei der Initiative ‚Unter einem Dach‘ Priorität
Waren es ursprünglich du und/oder Alexandra Faruga, die sich nach Mitstreitern umgesehen haben – oder kam der Plan gleich im größeren Kreis auf?
Die Idee entstand erstmal zwischen uns beiden. Wir haben aber direkt in der Antragsphase herumgefragt, wer Lust hätte, an diesem Projekt mitzuarbeiten. Die konkrete Planung mit dem Team hat begonnen, als klar war, dass wir genug Fördermittel zusammen bekommen.
Was war leicht, was war schwierig bei der Planung und Umsetzung? Kam gleich viel Zuspruch?
Schön war die Aufgeschlossenheit, mit der man uns in den Unterkünften begegnet ist. Schwierig war es dann, alle Sicherheitsauflagen, die solche Unterkünfte mit sich bringen, zu berücksichtigen. Alles musste mehrfach abgesegnet werden. Aber mit der Zeit wuchs das Vertrauen zwischen uns und den Betreuern vor Ort, so dass man uns recht freie Hand ließ. Der Wunsch, die Räume, die ja nicht als dauerhafte Unterkünfte geplant waren, zu verschönern, war auf allen Seiten vorhanden. Das machte das Arbeiten vor Ort sehr angenehm.
Welche Workshops fanden statt?
Es gab eine mobile Holzwerkstatt mit Christoph Zimmermann und Nikolai Reichelt (Hafven), Jonas Wömpner, Lena Petersen und Jascha Müller von „Hochkreativ“ haben die Wandgestaltung, bzw. Graffitis betreut, Nadine Maier („Freimaierei“) hat das textile Design übernommen und für die Raumkonzeption waren Stella Dobewall und Lou Hoffmann zuständig. Außerdem gab es auch einen Mal-und Bastelkurs für Kinder, den haben wir irgendwie alle betreut.
Mit wie vielen Teilnehmern jeweils?
Insgesamt haben etwa 60 Personen regelmäßig teilgenommen, Kinder und Jugendliche, aber auch Erwachsene bis ca. 50 Jahre. Viele haben erst mal zugeschaut und dann im Rahmen ihrer Möglichkeiten mitgemacht.
Sind die Ergebnisse alle bei der Projektpräsentation im Hafven zu besichtigen?
Bei der Projektpräsentation im Hafven zeigen und verkaufen wir Produkte, die im Nähstübchen des Oststadtkrankenhauses entstanden sind. Andere Arbeitsergebnisse, wie die Umgestaltung der Unterkünfte, werden in Form einer Fotoausstellung präsentiert. Möglicherweise werden wir auch noch Werkstücke aus der ersten Praktikumswoche im Hafven zeigen.
Und sind die Ergebnisse wichtig, oder war euch eher daran gelegen, den kreativen Austausch der Bewohner in den Flüchtlingsunterkünften zu fördern?
Für uns war natürlich der Arbeitsprozess das Wichtigste, den haben wir genutzt, um in Dialog mit den Bewohnern zu kommen. Aber uns war auch daran gelegen, die Aufenthaltsqualität der Menschen zu verbessern. Sich seine Unterkunft zu verschönern oder produktiv etwas zu schaffen, das man gut gebrauchen kann, wie etwa Lampen oder Tische, war natürlich auch für das Selbstwertgefühl der einzelnen gut.
Wie war die Reaktion der Bewohner auf das Angebot?
Nachdem die sprachlichen Barrieren überwunden waren und die ersten Praktikumsplätzte entstanden, sind die Menschen sehr interessiert und offen. Wir haben mehr Anfragen als Angebote, denn es gibt sehr viele Geflüchtete, die solche Möglichkeiten suchen. Einmal angefangen, sind sie nicht mehr zu bremsen und würden am liebsten sofort loslegen. Da ist es manchmal etwas kompliziert, ihnen die deutsche Bürokratie zu erklären.
Wo habt ihr das Material und die Gelder für die Umgestaltungsarbeiten im OSK und Siloah aufgetan?
Die Kosten tragen unsere Förderer: Die Kulturstiftung der NORD/LB, die Klosterkammer Hannover, das Ministerium für Wissenschaft und Kultur Landesarbeitsgemeinschaft Soziokultur, die Niedersächsische Lotto-Sport-Stiftung, die HannoverStiftung, der Stadtbezirksrat Buchholz-Keefeld, das DRK, sowie der Landesverband Freier Theater in Niedersachen. Wir haben ein interdisziplinäres Kulturprojekt
beantragt und sind ungeplant immer mehr in Richtung der Berufsqualifikation gerutscht. Aber wir sind sehr froh, dass unsere Förderer diesen Weg mit uns gegangen sind und die inhaltliche Verschiebung mitgetragen haben.
Was war für dich das Schönste an dem gesamten Projekt?
Zu erfahren, wie unkompliziert es sein kann, dort zu unterstützen, wo Hilfe notwendig ist. Überrascht hat uns, wie schwierig die Integration tatsächlich ist, weil es wahnsinnig viele Hürden gibt, viele realitätsfremde Absurditäten in einigen Bestimmungen – erschreckend. Aber mit einem entsprechenden Durchhaltevermögen ist schon vieles möglich.
Wie geht es jetzt weiter mit der beruflichen Qualifizierung und Weiterbildung von Flüchtlingen im Handwerk außerhalb der Unterkünfte? Was ist da schon konkret, was in Planung?
Im Dezember beginnen wir mit der Testphase, die ersten Praktika beginnen. Die Praktika im Bereich Holz finden im Hafven statt. Mit den Praktikanten im Bereich Modedesign werden wir unter der Leitung von Nadine Maier weiter im Nähstübchen des Oststadtkrankenhauses bleiben, aber auch in der Modeschule M3 zu Gast sein. Langfristig sind wir daran Interessiert, enger mit der Modeschule zusammenzuarbeiten. Wir wollen ein Drei-Jahres-Programm beantragen, um noch mehr Menschen die Möglichkeit zu bieten, sich aktiv einzubringen und Perspektiven für sich zu entwickeln. Unser Angebot ist sehr niedrigschwellig, es funktioniert über den persönlichen Kontakt zu den Menschen und richtete sich an alle, die Interesse haben. Desweiteren würden wir gerne eine Produktionsstätte für Kleidung und damit langfristig vielleicht sogar Arbeitsplätze schaffen. Wir haben viele Ideen und schauen mal, was sich realisieren lässt. (Interview: UM & Anke Wittkopp)